So beginnt meine Geschichte.
Es war in den Siebziger Jahren, da offenbarte mir meine Mutter, dass mein Vater nicht mein richtiger Vater ist, sondern dass mein leiblicher Vater ein französischer Zwangsarbeiter war. Meine Eltern wohnten in den letzten Kriegsjahren in Torgau an der Elbe, wo ich ja auch 1945 geboren bin. Es gab dort auch viele Franzosen, die dem Stalag IV D angehörten. Sicher haben sie sich dort kennengelernt.
Es war für mich natürlich eine Neuigkeit, mit der ich nie gerechnet hatte. Obwohl es für mich sehr überraschend kam, habe ich es meiner Mutter nie übelgenommen, das sie damals ein außereheliches Verhältnis hatte. Es gab in den Kriegsjahren sicher Schlimmeres, als meine Geburt.
Da wir ja in der DDR lebten, war ich eigentlich ein bisschen stolz, das ich einen französischen Vater hatte. Leider war das aber auch der Grund, das wir über viele Jahre nicht mehr über diese Angelegenheit sprachen. Ich hätte ja nie nach Frankreich fahren können, um die Suche nach meinem Vater aufzunehmen. Man hatte noch kein Internet, wo man recherchieren konnte. So blieb alles beim alten und das Thema war tabu .So vergingen die Jahre und es war immer aussichtsloser, meinen Vater irgendwann einmal noch lebend kennenzulernen.
Nun kam die Wende und damit auch viele neue Eindrücke, Sorgen und Probleme.
Meine liebe Mutter ist 1992 nach dem zweiten Schlaganfall verstorben. Sie hat das letzte halbe Jahr bei uns gewohnt, da sie Pflege brauchte. Ich kann es mir bis heute nicht verzeihen, das wir in dieser Zeit nicht noch mal ausführlich über meinen Vater gesprochen haben. Jetzt habe ich noch so viele Fragen und keiner kann sie mir beantworten.
Irgendwann, es war in der Weihnachtszeit, fand ich in dem Nachlass meiner Mutter, zwei Briefe in eine Weihnachtsserviette eingewickelt. Ein Brief war an meinen Vater gerichtet, den meine Mutter 1946 nach Frankreich geschickt hatte, der aber nicht zugestellt werden konnte und wieder zurückkam. Der zweite Brief war von meinem Vater an meine Mutter, aus der Zeit, wo er noch in Torgau war.
Der Fund dieser beiden Briefe war für mich das kostbarste Weihnachtsgeschenk.
Leider fehlte mir zu allen Angaben, die ich über meinen Vater hatte, der richtige Name. Meine Mutter hat den Namen so geschrieben, wie sie ihn gehört hat und das ist ja im Französischen sehr unterschiedlich. Dadurch war die Suche, meinen Vater bzw. seine Nachkommen zu finden, auch sehr schwer.
Vor wenigen Jahren entdeckte ich in unserer Zeitung einen Artikel von einer Frau, die auch ihren französischen Vater gesucht hat. Ihr Vater war schon verstorben , aber sie hat noch seine Nachkommen gefunden. Dieser Artikel und ein Besuch bei dieser Frau, die nicht weit von uns entfernt wohnt, gab mir den Anlass, auch nach meinen Wurzeln zu suchen.
Ich habe im Internet sehr viel recherchiert über französische Kriegsgefangene, über Torgau und die Gefangenenlager. Ich bin nach Torgau gefahren und habe Archive, Museen und Gedenkstätten aufgesucht. Meine erste Errungenschaft war ein Buch, was der Förderverein Europa Begegnungen e.V. herausgegeben hat. Es nennt sich " Livre d´Or 1940-1944 und alle Geschichten, Lieder, Artikel und Gedichte wurden von französischen Kriegsgefangenen verfasst, die hier in Torgau zu dieser Zeit lebten. Dieses ins Deutsche übersetzte Buch habe ich nicht wieder aus der Hand gelegt, bis ich es zu Ende gelesen hatte. Es vermittelt sehr authentisch das Leben der französischen Kriegsgefangenen hier in Torgau und ich glaubte, ich finde hier einen passenden Namen, der dem meines Vaters ähnelt.
Hier in Torgau habe ich auch den Leiter des DIZ ( Stiftung sächsischer Gedenkstätten ) kennengelernt, dem ich sehr viel zu verdanken habe.
Er war es, der im Jahr 2012 den richtigen Namen meines Vaters, in den 100 Listen der französischen Zwangsarbeiter, gefunden hat.
Viele zusammengetragene Bausteine haben nun doch zum Ziel geführt.
Da ich nun schon seit ein paar Jahren Mitglied bei ANEG bin, habe ich sofort meinen engsten Freund Fernand Rumpler angerufen. Auch er hatte schon in viele Richtungen recherchiert, aber immer ging unser Puzzlespiel nicht auf. Nun ging alles sehr schnell.
Am 08.Mai habe ich Fernand den Namen mitgeteilt.Er hat sofort in Frankreich recherchiert.
Am 25.05 2012 konnte er mitteilen, das wir jetzt den richtigen Namen haben. Er hatte auch schon 2 Cousins ausfindig gemacht. Neben den beiden Cousins konnte auch noch die Tochter meines Vaters , die 9 Jahre älter ist wie ich, gefunden werden.
Meine Mutter erwähnte auch in ihrem Brief, den sie 1946 nach Reims geschrieben hatte, das Gaston Coilot (mein Vater ) eine Tochter von ungefähr 9 Jahren hat.
Ich war glücklich, das sie noch am Leben ist und freute mich schon auf ein eventuelles Treffen mit ihr. Von ihr wollte ich etwas über meinen Vater erfahren und was mir sehr wichtig war, ich hätte gerne ein Foto von ihm.
Leider akzeptiert sie mich nicht und will überhaupt nichts mit mir zutun haben. Alle Versuche von Fernand und mir, ob brieflich oder telefonisch, haben absolut keinen Erfolg. Es ist sehr traurig, aber ich gebe noch nicht auf.
Meine Geschichte ist also noch nicht zu Ende.
Im April mache ich in der Nähe von Agay, dort wo meine Schwester wohnt, eine Woche Urlaub. Ich werde versuchen, sie persönlich zu sprechen. Auf Grund der Briefe, die sie uns geschrieben hat, verspreche ich mir keinen großen Erfolg, aber der Versuch ist es mir wert.
Diese Reise wird ein Abenteuer sein und mal sehen wie die Geschichte ausgeht.???
Vielleicht kann ich zu gegebener Zeit an dieser Stelle einmal über das Ergebnis meiner Reise berichten und meine Geschichte vollenden.
Zum Schluss möchte ich noch hinzufügen, seit ich bei ANEG bin weiß ich, dass viele Deutsche und Franzosen mein Schicksal teilen und durch ANEG habe ich viele Freunde gefunden.